Fachliche Stellungnahmen

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit

Berlin, 02. Juli 2024
Offener Brief als PDF

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit
Geschäftszeichen: PG-BÖG-11570-06, Ihr Schreiben vom 20.06.2024

Sehr geehrter Herr Rottmann-Großner,
sehr geehrte Damen und Herren,

haben Sie zunächst vielen Dank, dass Sie dem Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen
Gesundheitsdienstes (BVÖGD) die Möglichkeit eröffnen, zum o.g. Referentenentwurf Stellung zu nehmen. Diese
Möglichkeit nimmt der Verband gerne wahr.

Der Gesetzentwurf regelt die Errichtung eines neuen „Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin“
(BIPAM), in dem die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aufgehen und Teile des Robert Koch-Instituts
übergehen sollen, mit dem Ziel, eine zentrale Institution für Öffentliche Gesundheit zu schaffen, die auf bestehende
Aufgaben der BZgA aufbauen soll und mit den Mitteln der Information, Wissensgenerierung und Kooperation im
Rahmen ihrer Zuständigkeiten insbesondere koordinierend und vernetzend tätig werden soll, um künftige
Herausforderungen des Gesundheitssystems effizienter bewältigen zu können.

Als eine der wirksamsten primärpräventiven Maßnahmen bleibt in dem Entwurf z.B. die Impfprävention
unberücksichtigt. Die WHO-Ziele zur Elimination von impfpräventablen Infektionserkrankungen wie Masern sind noch
nicht erreicht. Dafür und zur Erreichung eines wirksamen Bevölkerungsschutzes ist eine Steigerung der Impfquoten
notwendig. Die Bevölkerung sollte daher auf die mögliche Impfprävention schwerer oder tödlicher Verläufe von
Infektionserkrankungen hingewiesen werden. Insbesondere sollte das häufig fehlende Wissen über Erreger,
Krankheitsverläufe, Erkrankungsrisiko und mögliche Folgeerkrankungen impfpräventabler Infektionskrankheiten sowie
die Herstellung, Zulassung, Empfehlungen von Impfstoffen und deren Anwendung in der Bevölkerung über alle
Altersgruppen hinweg gesteigert werden. Die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung sollte demnach insbesondere
durch Nutzen der Digitalisierung z.B. in Form von Gamification Ansätzen oder digitale Push-Informationen breit gestreut
über Social Media Plattformen oder eine dedizierte App mit zielgruppengerechten Inhalten in Bild, Video, Audio,
mehrsprachig und in einfacher Sprache, ggf. entsprechend eines Nutzerprofils (z.B. Alter, Impfstatus, Beruf, Schule) und
Einsatz eines Bildungsservers für E-Learning oder einer Bildungscloud Integration gestärkt und das häufig fehlende
Wissen vermittelt werden. Das Nutzen der Digitalisierung bietet die einmalige Chance, hin zur Interaktion bei der
Wissensvermittlung wie auch bei der Durchführung von Impfkampagnen.

Aufgrund der versorgungsrelevanten Diversität der heutigen Gesellschaft sind insbesondere Methoden der
Zielgruppenadressierung und gesundheitlicher Kompetenzentwicklungen weiterzuentwickeln und zu fördern. Die
Namensgebung des BIPAM darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gesundheitsförderung und Partizipation in
gesundheitlichen und sozialen Lebenswelten vor Prävention erfolgen. So haben die Gesundheitsministerkonferenz 2018
und der Sachverständigenrat in seinem Gutachten zur „Resilienz im Gesundheitswesen“ empfohlen,
Gesundheitsförderung an den Bedürfnissen und Lebensrealitäten der Bevölkerung auszurichten. Im Sinne eines
ganzheitlichen One-Health-Ansatzes, der Integration von Gesundheit in allen Lebenswelten, bedarf es einer Vernetzung
mit allen stationären und ambulanten ärztlichen und therapeutischen Versorgern. Auch die Trennung von
übertragbaren und nichtübertragbaren Erkrankungen in zwei unterschiedlichen Bundesinstituten und anderen
nationalen Kompetenzzentren entspricht nicht dem aktuellen Wissensstand. Zudem ist eine scharfe Trennung von
infektiösen und nichtübertragbaren Erkrankungen organisatorisch schwierig umzusetzen, denn gerade die gemeinsame
Genese und ähnliche psychosoziale Implikationen verschiedener Erkrankungen zeigen den Vorteil interdisziplinärer
Verzahnung auf. Das BIPAM sollte sich daher nicht im Kontrast zur ganzheitlichen One-Health- oder planetaren
Gesundheitskonzeption positionieren. Vielmehr sollte das BIPAM als Chance genutzt werden, wesentliche Punkte aus
dem Gutachten des Sachverständigenrats zu realisieren: Partizipative Gesundheitsförderung entlang den Bedürfnissen
und Lebensrealitäten einer zunehmend diverseren Bevölkerung. Um gesundheitliche Chancengleichheit und Teilhabe
in Deutschland und global zu verbessern, bedarf es einvernehmlich mit den Universitäten gemeinsamer Anstrengungen
zur Stärkung einer bevölkerungsmedizinischen Forschung, Dieses Ziel gilt gleichermaßen für Infektionserkrankungen
und nichtübertragbare Erkrankungen.

Mit dem BIPAM besteht die Chance, den wegweisendem GMK-Länderbeschluss von 2018 auf Bundesebene zu
vollenden und die historisch bedingte bevölkerungsmedizinische Lücke im deutschen Forschungs- und
Versorgungssystem zu schließen. Eine auf eine diverse Bevölkerung zugeschnittene vornehmlich digitale
Kommunikation und Kompetenzförderung könnte gesunde Lebensverhältnisse schaffen. Den aktuellen Erkenntnissen
der Gesundheitskommunikation entspricht die Ausrichtung der Öffentlichen Gesundheit auf Kommunen, um die
Bevölkerungsgruppen in ihren unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten effektiv zu erreichen und teilhaben zu lassen. Zur
Modernisierung gehört darüber hinaus, die sozialen Determinanten für Gesundheit in den Kommunen zu verbessern.
Dafür sollten die örtlichen Gesundheitsämter als Koordinations- und Wissenshub noch stärker sowohl den ambulanten
Einrichtungen als auch den Menschen vor Ort dienen und politische Akteure sollten kommunale Public-Health-Akteure
und -Anwender der Bevölkerungsmedizin mit einbeziehen.

Mit freundlichen Grüßen,
Dr. med. Emanuel Wiggerich
Erster stv. Vorsitzender