Fachliche Stellungnahmen

Leitung der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen muss fachärztlich besetzt werden!

Berlin, 02. November 2023
Offener Brief als PDF

Stellungnahme des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes
e.V. zur geplanten Änderung der Satzung und damit einhergehend des Staatsvertrages die Akademie
für Öffentliches Gesundheitswesen betreffend.

Sehr geehrter Herr Gesundheitsminister Lucha,

wir wenden uns heute voller Sorge wegen der geplanten Änderung der Satzung und des Staatsvertrages
der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesens (AÖGW) an Sie.
Wir appellieren dringend an die Gesundheitsministerkonferenz, der Satzungsänderung und dem damit
verbundenen Staatsvertrag in Bezug auf den vorgesehenen Wegfall der (fach)-ärztlichen Leitung der
Akademie für Öffentliches Gesundheitswesens nicht zuzustimmen.
Wir sind der Überzeugung, dass die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen durch eine Fachärztin
oder einen Facharzt vorzugsweise für öffentliches Gesundheitswesen geleitet werden muss.

Wir befürchten, dass ansonsten die Ausrichtung der Weiterbildung zukünftig fehlgeleitet werden könnte,
der Fachkräftemangel verstärkt würde und die bisherige ärztlich gesicherte fachliche Unabhängigkeit der
Akademie gefährdet werden könnte.
Darüber hinaus steht aus unserer Sicht die geplante Änderung des Staatsvertrages im Widerspruch zu
einigen Gesundheitsdienstgesetzen der Bundesländer und verhindert möglicherweise eine Anerkennung
der Facharztweiterbildung durch die Ärztekammern.
Wir halten es für verkehrt, dass nach unserem Kenntnisstand kein geregeltes Beteiligungsverfahren für
diesen Änderungsvorschlag erfolgt bzw. vorgesehen ist. Wir fordern deshalb, dass Sie die geplante
Änderung der Satzung ablehnen.

Erläuterung unserer Argumente:
Dem Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) sind in den
letzten Tagen völlig überraschend Pläne einer Satzungsänderung, und damit einhergehend auch eine
Änderung des Staatsvertrages – die AÖGW betreffend – bekannt geworden. Der Beschluss soll im Rahmen
der Kuratoriumssitzung am 06.11.2023 gefasst werden.
Über den Inhalt der geplanten Satzungsänderung mit der vorgesehenen Anpassung einer zukünftig nicht
mehr zwingend ärztlichen Leitung der AÖGW sind wir mehr als irritiert und halten es durchaus für
bemerkenswert, dass kein Beteiligungsverfahren oder eine sonstige sachbezogene Erörterung der
geplanten Satzungsänderung mit der Ärzteschaft und Vertreterinnen/Vertretern der Berufsverbände
erfolgte. Eine Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände ist uns ebenfalls nicht bekannt.
Unserer Einschätzung nach ist davon auszugehen, dass die geplanten Änderungen weitreichende
Konsequenzen für die zukünftige (Fach-)Ärzteschaft im Öffentlichen Gesundheitsdienst haben werden. Die
13 Trägerländer beteiligen sich in nicht unerheblichem Maße an der Finanzierung der AÖGW und für die
Kommunen als Träger des örtlichen ÖGD stellt die sechsmonatige Entsendung des ärztlichen Personals an
die Akademie, meist noch ergänzt durch eine bis zu sechsmonatige Entsendung zur psychiatrischen
Weiterbildung, eine erhebliche Belastung dar. Insoweit ist es unabdingbar, dass die AÖGW nicht nur eine
fachlich fundierte, sondern auch in der erworbenen Kompetenz anerkennungsfähige Qualifikation
ermöglicht. Es gilt, die AÖGW in ihrer Hauptfunktion als Aus- und Weiterbildungsstätte für den Öffentlichen
Gesundheitsdienst auch weiterhin zukunftssicher aufzustellen, denn sie ist die zentrale zugelassene
Weiterbildungsstätte für die obligatorische, sechsmonatige Kurs-Weiterbildung der Weiterbildung zur
Fachärztin/zum Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen unter Anleitung einer/eines Weiterbildungsermächtigten.
Wir dürfen zu Recht eine qualitativ hochwertige und den Regularien entsprechende Weiterbildung durch
die AÖGW erwarten.

Wir sehen es deshalb als höchst problematisch an, dass nicht nur die Stelle der Leitung der AÖGW seit mehr
als einem Jahr nicht mehr ärztlich besetzt ist, sondern dass derzeit auch keine Ärztin/kein Arzt mit der
Facharztqualifikation für das Gebiet Öffentliches Gesundheitswesen an der AÖGW tätig bzw. für die
fachärztliche Weiterbildung ermächtigt ist. In der Akademie angestellte, sich in Weiterbildung zum Facharzt
für ÖGW befindliche Ärztinnen können und dürfen dieses Defizit nicht ausgleichen.
Unabhängig von nicht gegebener Weiterbildungsberechtigung und fehlender Facharztkompetenz sind
neben fundierten medizinischen Kenntnissen auch Erfahrungen der Aufgaben und Tätigkeiten der
kommunalen Gesundheitsämter im Sinne einer Bevölkerungsmedizin vor Ort und epidemiologisches
Wissen erforderlich ist, um die verantwortungsvolle Aufgabe der Aus- und Weiterbildung aller
Berufsgruppen für den Öffentlichen Gesundheitsdienst zu übernehmen und wegweisende Schwerpunkte
setzen zu können. Die Leitung der AÖGW muss entscheidende Weichenstellungen für die Weiter- und
Ausbildungen übernehmen. Dabei müssen vor allem die Belange der Gesundheitsämter gekannt und
berücksichtigt werden. Es ist zu befürchten, dass der bereits jetzt bestehende, hochakute Mangel an
Fachärztinnen und Fachärzten für ÖGW in den Gesundheitsämtern, Landesstellen und weiteren ÖGDEinrichtungen
sich noch zuspitzen wird.
Darüber hinaus davon besteht unserseits die Sorge, dass die Ärztekammern eine Kurs-Weiterbildung ohne
fachärztliche Leitung nicht mehr anerkennen werden. Denn die Zertifizierung der Module der Kurs-
Weiterbildung durch die zuständige Ärztekammer ist prinzipiell daran gebunden, dass diese unter der
Verantwortung und Steuerung einer einschlägig fachärztlich qualifizierten, erfahrenen und
weiterbildungsberechtigten Leitung erfolgen. Lediglich behelfsweise akzeptiert derzeit die zuständige
Ärztekammer vorübergehend eine formale Weiterbildung durch einen externen Facharzt im Ruhestand. Es
droht jedoch eine Situation, dass die Weiterbildungskurse für die derzeitig als Folge des Stellenaufwuchses
der Pakt-Umsetzung steigende Anzahl an Ärztinnen und Ärzte durch die zuständige Ärztekammer nicht
mehr zertifiziert bzw. durch andere Ärztekammern nicht mehr anerkannt werden.
Nur am Rande erlauben wir uns den Hinweis, dass nach unserer Kenntnis der Rechtsstatus der AÖGW mit
dem Recht zur Ernennung und Beschäftigung von Beamtinnen und Beamten eine Institutsleitung im
Beamtenstatus voraussetzt, um die beamtenrechtlichen Rahmenbedingungen einer Dienstherrenfunktion
zu schaffen.

Sehr geehrter Herr Gesundheitsminister Lucha,
die Unabhängigkeit des Öffentlichen Gesundheitswesens ist eine demokratische Verantwortung und
aufgrund unserer Geschichte eine besondere Verpflichtung. Ärztinnen und Ärzte sind qua Berufsordnung
zur fachlichen Unabhängigkeit verpflichtet, daher muss gesichert sein, dass die Aus- und Weiterbildung
fachärztlich erfolgt.
Wir appellieren an Sie und die Gesundheitsminister der Länder, auf der Basis der noch geltenden Satzung
zeitnah die seit mehr als einem Jahr nicht erfolgte Ausschreibung zur ärztlichen Wiederbesetzung der
Leitung der AÖGW zu initiieren.

Es liegt im politischen Interesse, dass sich die AÖGW an dem Bedarf der öffentlichen Gesundheitsversorgung
orientiert und diese sicherstellt. Wie verantwortungsvoll die Tätigkeit im Bereich der
öffentlichen Gesundheit ist, haben wir in der Corona-Pandemie in eindrucksvoller Weise bewiesen. Die vor
Ort in den Kommunen zu treffenden medizinisch-fachlichen Entscheidungen mit weitreichenden Folgen für
die gesamte Bevölkerung dürfen keinesfalls unterschätzt und müssen zwingend fachärztlich verantwortet
werden.
Den Gesundheitsämtern mit ihren Ärztinnen und Ärzten wird von den Bürgerinnen und Bürgern ein hohes
Vertrauen entgegengebracht, dieses hohe Gut sollte nicht leichtfertig gefährdet werden.
Für Ihre Unterstützung bedanke ich mich im Namen all meiner Kolleginnen und Kollegen und verbleibe