Berichte

Johann Peter Frank - zur Verfügung gestellt von der JPF-Gesellchaft

Vorschlag Johann-Peter Frank Kooperationsmodell

Um die wissenschaftliche Verankerung des ÖGD zu verbessern gibt es den Vorschlag für ein bundesweites Johann-Peter Frank Kooperationsmodell.

Hintergrund:

ÖGD-zentrierte Forschung

Bisher wird der öffentliche Gesundheitsdienst in Deutschland in seiner Multidisziplinarität kaum empirisch beforscht, selten werden Arbeitsweisen in der ÖGD Praxis wissenschaftlich begleitet oder hinsichtlich ihrer Ergebnisse evaluiert. Um grundlegende und angewandte Erkenntnisse zu generieren, dieses Wissen im Dienst der Gesundheit in der praktischen Arbeit zu nutzen und evidenz-basierte Empfehlungen jeweils aktuell formulieren zu können ist für den ÖGD eine intensivierte Verbindung von Wissenschaft und Praxis notwendig. Unabdingbar ist dafür eine gestärkte und teilweise neue Rolle der Universitäten, Hochschulen und Akademien im Bereich des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, insbesondere eine Vernetzung und Kooperation dieser Einrichtungen.

Um auf globale Herausforderungen kooperativ und koordiniert reagieren zu können, sollten bestehende Einrichtungen, Strukturen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ÖGD international vergleichbar aufgestellt werden. Auf die auf europäischer Ebene aktualisierten und spezifizierten Befähigungen zu zehn Essential Public Health Operations (EPHO[2]) der Weltgesundheitsorganisation (Regionalbüro Europa) wird verwiesen.
Die Bereitschaft zur beidseitigen Vermittlung von Fragestellungen und Lösungsansätzen zwischen Wissenschaft und Praxis ist dabei wesentlich.

ÖGD-zentrierte Aus-, Fort- und Weiterbildung

Eine akademische Ausbildung zum Thema öffentliche Gesundheit fehlt derzeit an den meisten medizinischen Fakultäten in Deutschland. Für unterschiedliche Berufe im Öffentlichen Gesundheitswesen finden Aus-, Fort- und Weiterbildungen derzeit maßgeblich durch die Akademien für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf und München statt. Hier ist auch die theoretische Weiterbildung für den Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen verortet.

Die Akademien sind aufgrund ihrer strukturellen Interdisziplinarität und Unabhängigkeit in einer besonderen Verantwortung einen international hohen Standard zu gewährleisten. Für die Zukunft gilt es daher, historisch bedingte Lücken in der Aus-, Fort- und Weiterbildung und insbesondere in der Forschung zu Öffentlicher Gesundheit im Vergleich zu anderen Ländern durch neue Ansätze zu schließen um Deutschland international anschlussfähig zu machen. Zielsetzung muss sein, die besondere Chance der Verbindung zwischen Praxis und Wissenschaft in der Forschung zu Öffentlicher Gesundheit für die Gesundheit der Bevölkerung aufzubauen und zu nutzen.

Initiative der wissenschaftlichen Akademien für Public Health („Leopoldina-Initiative“)

Auf verschiedenen Ebenen müssen die dafür notwendigen gesellschaftlichen und akademischen Debatten angestoßen und unterstützt werden. Die diesbezüglichen Impulse der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina e.V./Nationale Akademie der Wissenschaften, der Akatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V. und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften e. V.[3]. werden vom BVÖGD ausdrücklich begrüßt.

Vorgeschlagen werden in dieser Stellungnahme für Deutschland:

  • Eine bessere Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen wissenschaftlicher Theorie und angewandter Praxis zu den Themenfeldern des ÖGD
  • Koordinierte und gemeinsam vereinbarte Berufsbildungsziele und Kompetenzen
  • Eine strukturierte Weitergabe von Erkenntnissen, Fachwissen und Perspektiven
  • Eine interdisziplinäre und Sektoren-übergreifende Ausbildung
  • Die Integration von relevanten Themen der öffentlichen Gesundheit in die Curricula der ärztlichen Ausbildung und Weiterbildung
  • Eine Steigerung der akademischen Wertschätzung durch noch näher zu bestimmende
  • Maßnahmen

Ziele und Inhalte eines neuen Kooperationsmodells zur Stärkung des ÖGD

Um die hier aufgeführten Ziele erreichen zu können, ist aus Sicht des BVÖGD die Einrichtung eines strukturierten, modularen „Johann-Peter-Frank- Kooperationsmodells“ erforderlich – benannt nach dem Wegbereiter des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, der Sozialmedizin und der Hygiene in Deutschland.

Das Kooperationsmodell sollte
(1) Aus-, Fort-, und Weiterbildung für den ÖGD ausbauen
(2) Forschung und Wissenschaft im Bereich Öffentliche Gesundheit fördern und
(3) vorhandene fachliche Strukturen und Netzwerke von Praktikern und Akademikern im ÖGD auf nationaler und internationaler Ebene stärken.

Um den ÖGD in Deutschland national zu stärken und international vergleichbar aufzustellen besteht massiver nachholender Investitionsbedarf. Hierfür bedarf es einer intensiven Förderung aus Landes- und Bundesmitteln. Die aus Sicht des BVÖGD zwingend erforderlichen Module und Charakteristika eines integrierten, kurz-, mittel- und langfristig wirksamen und vernetzten Kooperationsmodells, um öffentliche Gesundheit in seiner Breite und Tiefe umfassend in der akademischen Lehre zu re-etablieren und in der wissenschaftlichen Forschung zu verankern, werden nachfolgend vorgestellt:

Weiterbildung, Promotionsprogramm und Postdoc-Forschungsprogramm

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem ÖGD sollte die Möglichkeit gegeben werden, sich akademisch weiterzuentwickeln und zusätzliche Kompetenzen für ihre praktische Arbeit zu erwerben. Gleichzeitig muss für Quereinsteiger in den ÖGD aus ambulanten und stationären therapeutischen Bereichen eine „mid career“-Verbindung von Praxis, Forschung und Lehre für notwendige fachlich anspruchsvolle ÖGD-Karrieren ermöglicht werden.

Dazu wird die Einrichtung eines bundesweiten, qualitätsgesicherten und ausreichend finanzierten Fortbildungsprogramms für Ärztinnen und Ärzte und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im ÖGD als Promotionsprogramm sowie als Postdoc-Forschungsprogramm unter Einbeziehung europäischer oder internationaler Partnerschaften für notwendig erachtet. Die Ausrichtung der Programmförderung sollte insbesondere bei der Fort- und Weiterbildung die zentrale Rolle der Fachärztinnen und Fachärzte für das Öffentliche Gesundheitswesen berücksichtigten, dabei aber nicht die Fort- und Weiterbildung der zahlreichen Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin, für Psychiatrie und Psychotherapie sowie weiterer Fachrichtungen wie bspw. Epidemiologie, Ökotrophologie, Biologie, Soziologie und Rechtswissenschaften zu sozialepidemiologischen Fragestellungen vernachlässigen.

Ein gestärktes Bildungsangebot mit enger Vernetzung zu den Bezugswissenschaften und den vorgenannten neuen Strukturansätzen mit einem erweiterten Forschungsangebot erscheint geeignet, um auch im Europäischen Vergleich wettbewerbsfähig zu werden. Ein best-practice-Modell ist z.B. die mehrjährige fachärztliche Weiterbildung zum Public Health Consultant in Großbritannien, die in der theoretischen Ausbildung mindestens einem Master in Public Health entspricht bzw. diesen integriert. Ein entsprechendes Modell wird bereits an der Pettenkofer School of Public Health in Kooperation mit der LMU München erfolgreich umgesetzt.

Neben der Fort- und Weiterbildung im ärztlichen ÖGD-Bereich sind Auswirkungen auf entsprechende Programme für weitere Berufsgruppen im ÖGD, z.B. Hygieneinspektoren und Sozialmedizinische Assistenten und Sozialarbeiter/Sozialpädagogen, zu prüfen und ggf. auszuweiten. Eine bereichsspezifische Akademisierung in Form von weiteren Bachelor- oder Masterabschlüssen ist im Rahmen des Gesamtkonzepts zu bewerten und zu entwickeln.

Etablierung von universitärer Lehre zu Öffentlicher Gesundheit

Öffentliche Gesundheit unterscheidet sich durch ihren Bevölkerungsbezug und die hohe Multiprofessionalität sowohl innerhalb der ärztlichen Berufe, als auch unter den medizinischen Assistenzberufen, von klinischen Fächern.

Medizinstudierende müssen die Möglichkeit erhalten, das Fach Öffentliche Gesundheit theoretisch und praktisch kennenzulernen. Eine Verankerung des Themengebietes Öffentliche Gesundheit an deutschen medizinischen Fakultäten, mit intensivem Bezug zum Medizinstudium, ist daher zwingend notwendig, um international Äquivalenz in der Ausbildung sicherzustellen. Dazu muss das Thema Öffentliche Gesundheit im Medizinstudium positioniert und in der Approbationsordnung für Ärzte stärker verankert werden. Es muss dabei sowohl als eigenständiger Bereich wie als Querschnittskompetenz in allen Fachrichtungen repräsentiert sein. Am 1. Oktober 2003 wurde bereits mit Inkrafttreten der Ärztlichen Approbationsordnung (ÄAPPO) der Querschnittsbereich 3 „Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, öffentliche Gesundheitspflege“ in den zweiten Abschnitt der ärztlichen Ausbildung eingeführt. Eine enge Verknüpfung mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst findet allerdings nur an wenigen Universitäten statt. Praktische Ausbildungsteile im Medizinstudium (Famulaturen, Praktisches Jahr) sollten grundsätzlich in verschiedenen Fachgebieten der Gesundheitsämter absolvierbar sein, wie bereits die Gesundheitsministerkonferenz der Länder in entsprechenden Beschlüssen 2013 und 2014 [s1] forderte. [4], [5]

Einrichtung von Lehrstühlen für Öffentliche Gesundheit

Um die Zusammenarbeit in Lehre und Forschung zu fördern werden akademische Brückenprofessuren bzw. universitäre Lehrstühle für Öffentliche Gesundheit insbesondere an den Akademien in Düsseldorf, München und anderen Orten in gemeinsamer Trägerschaft mit kooperierenden Universitären benötigt.

Kristallisationspunkt: Akademien für Öffentliches Gesundheitswesen

Die bereits bestehenden und leistungsfähigen Akademien für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf und München fungieren bis zur erfolgreichen Einrichtung von eigenständigen Lehrstühlen für öffentliche Gesundheit als zentrale Kristallisationspunkte. Sie haben die Aufgabe, die Fort- und Weiterbildungen im Bereich des ÖGD transdisziplinär und hierbei insbesondere die ärztliche Weiterbildung für den Bereich öffentliche Gesundheit in Deutschland zu fördern. Als zentrales Element des Johann-Peter-Frank- Kooperationsmodells vernetzen sich die Akademien für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf, München, Meißen und Stuttgart strukturiert und mit Ressourcen unterlegt mit universitären und anderen kompetenztragenden Einrichtungen.

Die schon jetzt berücksichtigten Auswirkungen der Globalisierung auf die Gesundheit und ihre Systembezüge werden dabei absehbar eine zentrale Rolle spielen. Dies schließt ausdrücklich den Themenkomplex von Flucht/Asyl, Migration, Integration und kultureller Kompetenz ein. Basisdisziplinen der Öffentlichen Gesundheit wie Epidemiologie, Ökonomie und Sozialwissenschaften sind in diesen Strukturen zentral verankert, zusätzlich werden neue Verbindungen mit traditionellen Arbeitsbereichen wie Hygiene, Infektiologie, Toxikologie und auch neue Arbeitsfelder wie der Kommunikation und Information aufgebaut. Der kontinuierlich zunehmenden Relevanz von Mental Health gegenüber traditionellen Schwerpunkten wie Infektions- und Umwelthygiene wird dabei angemessen Rechnung getragen.

Fazit

Das hier dargelegte modulare Johann-Peter-Frank-Kooperationsmodell ist ein notwendiger Schritt zur Förderung der Praxis, Forschung und Lehre bezüglich Öffentlicher Gesundheit in Deutschland und ein unverzichtbarer Beitrag im europäischen Kontext. Zentral ist dafür der zeitnahe, strukturierte und mit ausreichenden Ressourcen unterlegte Einrichtung von Lehrstühlen sowie der Aufbau eines Netzwerks zwischen bestehenden Akademien für Öffentliches Gesundheitswesen und universitären Partnern.
Durch eine enge Verzahnung von Forschung und Praxis wird das Thema Öffentliche Gesundheit unter Einbindung der medizinischen Fakultäten re-akademisiert und in Deutschland zum Wohle der Bevölkerung mittel- und langfristig umgesetzt.

[1] Die ärztliche Versorgung in Deutschland (2014) Bundesärztekammer
http://www.bundesaerztekammer.de/ueber-uns/aerztestatistik/ (accessed 10.01.2016)
[2] http://www.euro.who.int/en/health-topics/Health-systems/public-health-services/policy/the-10-essential-public-health-operations
[3] http://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2015_Public_Health_LF_DE.pdf
[4] Beschlüsse der 86. GMK (2013) TOP: 5.1 Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes
https://www.gmkonline.de/Beschluesse.html?id=8&jahr=2013
[5] Beschlüsse der 87. GMK (2014) TOP: 7.7 Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes
https://www.gmkonline.de/Beschluesse.html?jahr=2014

(22.07.2016)