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Stellungnahme

Gesetzentwurf – Durchführung der IGV

Referentenentwurf des Gesetzes zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV-DG)

Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) hat folgende Anmerkungen bzw. Anregungen zum Referentenentwurf des Gesetzes zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV-DG) im Stand vom 11.07.2011:

Prinzipiell ist festzuhalten, dass sich der vorliegende Referentenentwurf – dem Grundgedanken der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) folgend – vornehmlich auf übertragbare Krankheiten bezieht. Da jedoch in § 4 Absatz (1) neben dem Robert Koch-Institut (RKI) für den Bereich der übertragbaren Krankheiten auch Bundesbehörden für den Bereich chemischer und radioaktiver Gefahren aufgeführt sind, wäre zu erwarten, dass sich entsprechende Gefahrenzeichen und Symptome als Folge eines unerwarteten oder ungewöhnlichen Ereignisses die öffentliche Gesundheit betreffend (vgl. Artikel 7 IGV) ebenfalls in den Durchführungsregelungen finden. Dies ist jedoch – mit Ausnahme der angeführten Zuständigkeitsregelung – nicht der Fall. Folgerichtig müssten hier eine entsprechende Erweiterung erfolgen und auch die Form- sowie Meldeblätter entsprechend angepasst werden.

In der Umsetzung der IGV kommt den Behörden vor Ort eine zentrale Rolle zu. Hierbei handelt es sich sowohl im Bereich der übertragbaren als auch umweltassoziierten Krankheiten in der Regel um die Gesundheitsämter. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese eine effektive Ausübung ihrer Rolle nur wahrnehmen können, wenn dem sich bereits jetzt manifestierenden Nachwuchsmangel im ärztlichen Bereich entschieden entgegengewirkt wird und die für den Öffentlichen Gesundheitsdienst zur Zeit bestehenden nachteiligen Tarifbedingungen deutlich verbessert werden.

Die zentrale Rolle der Gesundheitsämter (im Nachfolgenden allgemeiner als „nach Landesrecht zuständige Behörde“ bezeichnet) sollte auch bei den Durchführungsbestimmungen in Bezug auf Zuständigkeiten und Aufgaben deutlich gemacht werden. Bereits an dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass dies in den §§ 8 und 13 IGV-DG von Seiten des BVÖGD als notwendig erachtet wird.

Zuletzt möchten wir allgemein anmerken, dass der Referentenentwurf ohne die laut §§ 8 und 13 jeweils dem RKI zugeschriebene Empfehlung über die Kapazitäten nach Anlage 1 Teil B IGV an Flughäfen und Häfen leider nur unvollständig beurteilbar ist. Gleiches gilt für die Aussteigekarte gemäß § 12 Absatz (3), die aufgrund des noch nicht abgeschlossenen Abstimmungsprozesses zwischen WHO und ICAO fehlt.

Zu den Regelungen im einzelnen haben wir folgende Anmerkungen: Artikel 1: Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften
a) § 5, Absätze (1) und (2): Es ist sehr zu begrüßen, dass in Absatz (1) Beförderer und Betreiber von Flughäfen, Häfen und Personenbahnhöfen als die Verantwortlichen benannt werden, die den Reisenden Informationen zu bestimmten Erkrankungen und Verhaltensempfehlungen zu geben haben. Das Gleiche gilt für die in Absatz (2) verankerte Aufgabe des Bundesministeriums für Gesundheit zur

Bestimmung über Inhalt und Form dieser Informationen im Einvernehmen mit den anderen Bundesbehörden. Der BVÖGD weist jedoch darauf hin, dass solche Informationen je nach Vorlauf des Eingangs von Meldungen gemäß §§ 11 und 16 im Verhältnis zur Landung bzw. zum Anlaufen evtl. sehr kurzfristig vorliegen müssen. Daher wäre es überlegenswert, auch dem zuständigen Gesundheitamt oder der zuständigen Landesbehörde die Möglichkeit zuzugestehen, ersatzweise eine Form von „Basisinformation“ zu erstellen und über die Beförderer und Betreiber an die Reisenden bis zum Vorliegen der endgültigen Informationsblätter verteilen zu lassen.

b) § 8 Absätze (2), (4) und (6): Die Gesundheitsbehörde vor Ort sollte in die Entscheidung der obersten Landesgesundheitsbehörde über die Auswahl von zusätzlichen Flughäfen mit Kapazitäten nach Anlage 1 Teil B IGV einbezogen werden (Absatz 2). Als Formulierung wird vorgeschlagen: „…im Benehmen mit der nach Landesrecht zuständigen Behörde…“. Gleiches gilt für die Festlegung der obersten Landesgesundheitsbehörde über Art und Umfang der Kapazitäten, die die Flughäfen vorzuhalten haben (Absatz 4). Als Begründung ist anzuführen, dass durch die Einbindung der zuständigen (Gesundheits-)Behörde (üblicherweise das Gesundheitsamt) vor Ort ein verlässlicheres Bild über die strukturellen und organisatorischen Voraussetzungen des Flughafens zum Umgang mit Gesundheitsgefahren gemäß Artikel 2 IGV gewonnen werden kann. Die besondere Kompetenz des Gesundheitsamtes in diesem Punkt ergibt sich aus der üblicherweise gemäß Landesrecht übertragenen Aufgabe der infektionshygienischen Überwachung von Flughäfen und Häfen. Darüber hinaus ist über die Einbindung der „nach Landesrecht zuständigen Behörde“ erwartbar, dass die Schaffung und Unterhaltung von entsprechenden Kapazitäten auch unter haushalterischen Gesichtspunkten verlässlich geplant und ausgeführt wird. Ferner entspricht diese Vorgehensweise besser dem Prinzip der Subsidiarität im Verwaltungshandeln

c) § 8 Absatz (5), letzter Satz: Im gleichen Sinne wie bereits ausgeführt sollte dieser Satz folgendermaßen ergänzt werden: „Der Betreiber hat die Erfüllung seiner Verpflichtungen nach Satz 1 gegenüber der zuständigen obersten Landesgesundheitsbehörde „und der nach Landesrecht zuständigen Behörde“ in geeigneter Form nachzuweisen.

d) § 8 Absatz (10), Satz 1: Im gleichen Sinne wie bereits ausgeführt sollte dieser Satz folgendermaßen ergänzt werden: Die oberste Landesgesundheitsbehörde überwacht die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Absätzen 5 und 9 „im Benehmen mit der nach Landesrecht zuständigen Behörde“.

e) § 8 Absatz (6), Satz 1: Sofern der in den vorangehenden Aufzählungspunkten angeführten Einbindung des Gesundheitsamtes nicht gefolgt wird, sollte zur Klärung der Zuständigkeit und zur Erzielung einer verwaltungsjuristisch korrekten Lösung an dieser Stelle festgelegt werden, dass die oberste Landesgesundheitsbehörde für die Schaffung und Unterhaltung der nach Absatz 4 festgelegten Kapazitäten verantwortlich ist.

f) § 11 Absatz (1): Aus fachlich-medizinischen Gründen wird empfohlen, die Liste der Symptome zu überprüfen und ggf. den Symptomen entsprechend nach Einwirken von chemischen oder radioaktiven Ereignissen anzupassen. Prinzipiell erscheint eine einheitlichte Liste für Symptome im Flug- und Schiffsverkehr sinnvoll. So sind z. B. die in § 16 angeführte Drüsenschwellung als Hinweis auf einen Kontakt zu Yersinia pestis (Bubonenpest mit der Möglichkeit zur Lungenaffektion und Tröpfchenübertragung) als auch die Lähmungserscheinungen, die als Symptom einer fäkal-oral übertragbaren Poliomyelitis-Infektion auftreten können, auch für den Flugverkehr als kritische Erkrankung anzusehen. Diese werden aber von den dort aufgeführten Symptomen nicht abgedeckt. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass unklare Begrifflichkeiten wie z. B. „anhaltendes“ Erbrechen für den medizinischen Laien und somit auch für Führer von Flugzeugen oder Schiffen schwierig zu beurteilen sind. Zum anderen sind Verläufe bei verschiedenen hochkontagiösen Infektionskrankheiten vorstellbar (z.B. Noroviren), die eher selten mit Fieber einher gehen. Diese Fallkonstellationenen sind somit gemäß IGV-DG nicht meldepflichtig, obwohl eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit eintreten kann.

g) § 12 Absatz (2): Die vorgesehen Regelung wird ausdrücklich begrüßt. Eine Entscheidung zur Ausgabe von Aussteigekarten muss unter Umständen innerhalb einer Stunde getroffen werden, z. B. wenn bei einem Passagier der Verdacht auf viral hämorrhagisches Fieber besteht. Diese Situation wird in Absatz 2 rechnung

getragen. Die zuständige Gesundheitsbehörde erhält damit eine notwendige Entscheidungsbefugnis.

h) § 12 Absatz (3): Das Muster der Aussteigekarte fehlt im Anhang. Der BVÖGD stimmt jedoch der Anmerkung in Anlage 1 nicht zu. Wir halten eine Aussteigekarte auch bei einem Misserfolg des Abstimmungsprozesses zwischen WHO und ICAO für notwendig. Wir regen in diesem Fall an, auf die an den Standorten von Großflughäfen und Häfen in den Gesundheitsämtern und zuständigen Landesbehörden sowie im RKI vorhandene Kompetenz und Erfahrung im Umgang mit der Gefahrenabwehr zurückzugreifen und für Deutschland eine abgestimmte Fassung einer Aussteigekarte zu erarbeiten.

i) § 13, Absätze (2), (4), (6) und (10): Die bereits zu Abschnitt 2 Luftverkehr (§ 8) getroffenen Anregungen zur Einbindung der nach Landesrecht zuständigen Behörde in die von der obersten Landesgesundheitsbehörde potentiell zu treffenden Entscheidungen und Verantwortlichkeiten gelten hier analog.

j) § 16, Absatz (1): Wie bereits zu § 11 erwähnt, weichen die hier genannten Symptome, die Anlass für eine unverzügliche Meldung an die Hafenaufsicht geben sollen, von denen im Flugverkehr ab. Eine Prüfung auf Vereinheitlichung der Liste für Symptome im Flug- und Schiffsverkehr erscheint uns sinnvoll.

k) Auffällig und nach Ansicht des BVÖGD fehlend sind in der Folge des § 16 Regelungen zur Ermittlung von Kontaktpersonen. Im Abschnitt 2 des Referentenentwurfes (§§ 8 -12) werden zum Flugverkehr entsprechende Vorgaben in § 12 unter Berufung auf Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a IGV gemacht. Diese IGV-Grundlage kennt jedoch keinen Unterschied zwischen Flug- und See- bzw. Binnenschiffahrtsverkehr. Bei See- und Binnenschiffen besteht aber die gleiche Problematik hinsichtlich der Erreichbarkeit von Kontaktpersonen nach dem Verlassen der Beförderungsmittel. Mit Blick auf die sehr unterschiedlichen Inkubationszeiten (Tage bis Wochen) bei einer Infektionserkrankung sowie die ebenfalls heterogenen Zeiträume bis zur Symptomausbildung bei Strahlenkrankheiten oder nach chemischen Noxen halten wir eine Regelung zur Ermittlung von Kontaktpersonen auch in diesem Bereich für notwendig.

l) § 19: Insbesondere mit Blick auf die Binnenschifffahrt wird die in Absatz (3) verankerte Möglichkeit für die obersten Landesgesundheitsbehörden, bestimmte Typen von Schiffen von der Bescheinigungpflicht auszunehmen bzw. hinzuzufügen, kritisch gesehen. Die explizite Eingrenzung auf „bestimmte Typen“ erfährt weder im Gesetzestext noch in der Begründung eine Konkretisierung. Ein unklare Begrifflichkeit eröffnet jedoch die Möglichkeit für unterschiedliche Auslegungen in den einzelnen Bundesländern. Eine realistische Folge wäre, dass ein Binnenschiff, das beispielsweise auf dem Rhein unterwegs ist und in kurzer Zeit Bundeslandgrenzen überschreitet, somit mit unterschiedlichen Vorgaben konfrontiert sein kann. Im Umkehrschluss wäre damit auch für Schiffsführer und Schiffseigner ggf. die Option geschaffen, „lästigen Regelungen“ auszuweichen. Sofern an der bisherigen Formulierung festgehalten wird, regt der BVÖGD an, eine diesbezügliche Liste von Schiffstypen von Gesundheitsämtern, zuständigen Landesbehörden und RKI unter Einbeziehung des „Arbeitskreises der Küstenländer“ zu erarbeiten und bundesweit geltend zu machen.

m) § 21: da mit diesem Paragraphen von dem vorgesehenen Regelungen abweichendes Landesrecht ausgeschlossen wird, ist eine Aufnahme der unter den Aufzählungszeichen b) – d) und i) angeregten Änderungen aus Sicht des BVÖGD für eine funktionierende Umsetzung des IGV-DG unersetzlich.

Artikel 3 – Änderung des Infektionsschutzgesetzes

Die ergänzende Verpflichtung für das Gesundheitsamt, der örtlich zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörde Informationen zur Verfügung zu stellen, lehnen wir ab. Sie ist weder im Zusammenhang mit den Durchführungsbestimmungen zu den IGV als notwendige Zusatzregelung einzustufen, noch ist damit ein Vorteil erkennbar, der über die gegenwärtige Praxis der Amtsunterstützung vor Ort hinaus reicht.
Im Jahr 2008 hat das Bundesinstitut für Risikobewertung in Abstimmung mit dem RKI auf der Grundlage der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Erfassung, Auswertung und Veröffentlichung von Daten über das Auftreten von Zoonosen und Zoonoseerregern entlang der Lebensmittelkette (AVV Zoonosen Lebensmittelkette) ein Erfassungssystem für lebensmittelbedingte Ausbrüche in Deutschland (BELA) etabliert. In der Folge wurde dieses System in den einzelnen Bundesländern und Kommunen umgesetzt. Nach einer im Frühjahr 2010 durchgeführten Evaluation ist dieses System prinzipiell geeignet, die

Anforderungen gemäß AVV Zoonosen Lebensmittelkette zu erfüllen. Es besteht jedoch noch Optimierungspotential insbesondere in Bundesländern, in denen eine landeseigene Regelung über Zuständigkeiten und Aufgaben bislang fehlt.
Dieses Ziel wird durch die hier geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes jedoch nicht verfolgt. Statt dessen ist eine prinzipielle Beteiligung der Lebensübermittelüberwachung nicht nur bei offensichtlich lebensmittelassoziierten Krankheitshäufungen, sondern auch bei potentiell mit Lebensmitteln in Verbindung stehenden Ausbrüchen bis hin zu Einzelfallgeschehen geplant. Aus diesem Anspruch ergibt sich angesichts von 34 bestätigt auf Lebensmittel kausal zurückführbare
Ausbrüchen bei insgesamt 78 Ausbruchsmeldungen in 15 Bundesländern1 denen mind.
9.233 potentiell lebensmittelassoziierte Ausbrüche mit insgesamt 102.486 betroffenen Personen2 ohne Berücksichtigung von Einzelfällen gegenüberstehen, eine erhebliche Zusatzbelastung für die Gesundheitsämter. Aus Sicht des BVÖGD ist diese Zusatzbelastung weder verhältnismäßig noch zielführend und wird daher abgelehnt.

Artikel 4 – Änderung des Arzneimittelgesetzes

Die vorgesehene Neufassung des § 79 Absatz 5 im Arzneimittelgesetz wird vom BVÖGD begrüßt und uneingeschränkt befürwortet.

Zusammenfassung

Insgesamt ist der Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften und zur Änderung weiterer Gesetze“ im Stand von 11.07.2011 eine gute Grundlage, die nach entsprechender Überarbeitung und unter dem Vorbehalt einer ausreichenden Personalsituation im Öffentlichen Gesundheitsdienst ein effektives Verwaltungshandeln bei der Durchführung der internationalen Gesundheitsvorschriften ermöglichen kann.

1 vgl. „An Krankheitsausbrüchen beteiligte Lebensmittel in Deutschland im Jahr 2009, BfR, www.bfr.bund.de
2 vgl. „Infektionsepidemiologisches Jahrbuch meldepflichtiger Krankheiten 2009“, RKI, www.rki.de

(26.07.2011)



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