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Stellungnahme

Stellungnahme des BVÖGD vom 31.Januar 2013 zum Referentenentwurf des Bundesministeriums eines „Gesetzes zur Förderung der Prävention“

(31.01.2013) Aus unserer Sicht handelt es sich bei dem vorliegenden Referentenentwurf nicht um ein umfassendes Gesetz zur Förderung der Prävention, sondern um die Neuformulierung und Ergänzung bestehender Rechtsvorschriften (§ 20ff., § 23, § 25, § 26, § 65a SGB V) zur gesetzlichen Krankenversicherung.

1. Inhaltliche Anmerkungen:

Zu A. Problem und Ziel
Durch eine zielgerichtete Ausgestaltung der GKV-Leistungen zur Primärprävention und zur Früherkennung –in der vorgeschlagenen Form – werden die Entwicklung und der Ausbau gesundheitsförderlicher Verhaltensweisen nur partiell und in unzureichender Weise gestärkt. Die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung im Bereich der Entstehung und Veränderung von Gesundheitsverhalten belegen seit mehr als zwei Jahrzehnten, dass gesundheitsförderliches Verhalten von vielen kognitiven, emotionalen und sozialen Faktoren sowie Umweltbedingungen abhängt.

Zu B. Lösung
Die Lösung etwa sozial bedingter ungleicher Gesundheitschancen im Wesentlichen in der „Förderung der Verantwortung der Menschen, der Selbstverwaltung und der Unternehmen“ zu sehen, halten wir für fragwürdig. Gesundheit aufrecht zu erhalten und zu stärken, das Fortschreiten chronisch-degenerativer Erkrankungen einzudämmen und ein gesundes, selbstbestimmtes und erfülltes Älterwerden erreicht man nicht dadurch, dass in erster Linie an die Eigenverantwortlichkeit appelliert wird.

Die soziale Schere, die gemessen am Einkommen zu einem Unterschied von bis zu 10 Jahren in der Lebenserwartung zwischen dem Fünftel der deutschen Bevölkerung
mit dem niedrigsten und dem Fünftel der Bevölkerung mit dem höchsten Einkommen führt, lässt sich nur durch gesamtgesellschaftliche Veränderungen beeinflussen. Inwieweit die Stärkung der Verantwortung der Selbstverwaltung, hier wohl in erster Linie des Spitzenverbandes Bund, und die Stärkung der Verantwortung der Unternehmen im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung einen nennenswerten Beitrag leisten sollen, bleibt offen.

2. Zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
Zu § 20 Primäre Prävention
Zu (1) Eine systematische Evaluation der GKV-Leistungen zur Verminderung sozial bedingter ungleicher Gesundheitschancen steht bisher aus. Eine konkrete Verminderung sozial bedingter ungleicher Gesundheitschancen kann für die letzten Jahre nicht festgestellt werden. Vielmehr ist ein Wachsen der Kluft zu konstatieren. Die GKV-Leistungen zur Primärprävention müssen zwingend extern wissenschaftlich in regelmäßigen Abständen nach objektiven Kriterien unter Verwendung bereits etablierter Instrumente evaluiert werden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass dieser Paragraph fortgeschrieben und die Zuständigkeit in unveränderter Weise bei der GKV verbleibt, obwohl weder die Qualitätssicherung systematisch erfolgt ist noch eine wissenschaftliche Evaluation unter Berücksichtigung der anvisierten Ziele geplant ist.

Zu (2) Unmittelbar an den vorangegangenen Punkt schließt sich der folgende an. Als Vorgehensweise ist es vielleicht in sehr kleinen Einrichtungen denkbar, eine Selbstevaluation durchzuführen. Es ist jedoch bedenklich, dass hier der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit der Festlegung der Kriterien der GKV-Leistungen hinsichtlich Bedarf, Zielgruppen, Zugangswegen, Inhalten, Methodik, Qualität, wissenschaftlicher Evaluation und Zielerreichung betraut werden soll. Es gibt bereits verschiedene Qualitätssicherungsinstrumente in Deutschland, so dass in Frage zu stellen ist, warum es bisher nicht zu einer systematischen Qualitätssicherung gekommen ist. Wir schlagen daher vor, sowohl die wissenschaftliche Evaluation als auch die Zertifizierung durch externe Einrichtungen vorzunehmen zu lassen.

Zu (3) Wenn ab Inkrafttreten der Änderungen dieser Neuregelungen die Krankenkassen Leistungen zur individuellen Verhaltensprävention erbringen können, sofern diese zertifiziert sind, stellt sich die Frage, ab wann Zertifizierungen in welchem Umfang und von wem vorgenommen werden und mit welchen Mitteln diese finanziert werden. Wir empfehlen hier eine Konkretisierung vor zu nehmen.

Zu (5) Die BZgA soll Leistungen zur primären Prävention in Kindertageseinrichtungen, Kindergärten, Schulen, Jugendeinrichtungen und Lebenswelten älterer Menschen durchführen.

Zunächst sind durch diese Aufzählung bereits unterschiedliche Interessen, die nicht
in die unmittelbare Zuständigkeit des Bundes fallen, berührt. Kindertageseinrichtungen, Kindergärten, Schulen und Jugendeinrichtungen unterstehen dem Kultus-respektive Jugendministerium eines Bundeslandes. Nachhaltige Angebote zur Prävention und Gesundheitsförderung in Lebenswelten können nicht zentral aufgebaut werden, sondern müssen spezifisch regionalen Gegebenheiten angepasstwerden. Hierfür gibt es bisher flächendeckend keine etablierten Strukturen der BZgA.

Hingegen ist der öffentliche Gesundheitsdienst bundesweit kommunal aufgestellt, als
Akteur vor Ort bekannt und verfügt aufgrund langjähriger Erfahrung über Zugangswege insbesondere zu vulnerablen Bevölkerungsgruppen. Prävention und Gesundheitsförderung sind zudem in den Gesundheitsdienstgesetzen der Länder verankert und damit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst angeschlossen. Der Einsatz der Mittel Quartiersbezogen in die bestehenden Strukturen vor Ort ist aus unserer Sicht zielführender und in der Effektivität in Studien belegt. Zumindest erscheint eine enge Verzahnung von Aktivitäten der BZGA mit den zuständigen Einrichtungen der Länder und Aktivitäten der Gesundheitsämter vor Ort angezeigt. Dies sollte in der pauschalen Vergütung auch Berücksichtigung finden.Wir halten es für bedenklich, dass ein gesamtgesellschaftliches Problem (sozial bedingt ungleiches Morbiditäts-und Mortalitätsgeschehen) nur mit Mitteln der GKV bewältigt werden soll und nicht alle relevante Akteure einbezogen respektive Steuermittel hierzu verwendet werden. Die PKV bleibt unberührt; sie kann sich dem Ganzen anschließen, muss es aber nicht.

Zu § 20e Ständige Präventionskonferenz; Bericht über die Entwicklung von Gesundheitsförderung und Prävention Der Referentenentwurf lässt offen, welche „Vertreter der für Gesundheitsförderung und Prävention maßgeblichen Organisationen und Verbände“ der Ständigen Präventionskonferenz angehören sollen. Hier ist unbedingt darauf zu achten, dass kein redundantes Gremium eingerichtet wird. Die Arbeitsfähigkeit und die Expertise der Mitglieder der Ständigen Präventionskonferenz sollten maßgeblich im Vordergrund stehen. Bei der Berufung der Akteure sollten der Öffentliche Gesundheitsdienst aber auch die Bundesärztekammer unbedingt einbezogen werden.
3. Zur Begründung, A. Allgemeiner Teil Abschließend möchten wir zu einzelnen Aspekten aus dem allgemeinen Teil der Begründung fachliche Themenschwerpunkte und Anregungen geben.

Die zentrale Aussage „Gesundheit wird maßgeblich durch eine gesunde Lebensführung erhalten“ (S. 10) halten wir für relativierbar. Ein mindestens ebenso gewichtiger Faktor ist die soziale Lage, die z.B. durch gesundheitsgefährdenden Tätigkeiten (z.B. schwere körperliche Arbeit, Umgang mit Gefahrenstoffen) oder durch prekäre Lebensumstände charakterisiert sein kann. Hier werden gesellschaftlich zustande gekommene Risiken individualisiert. In diesem Zusammenhang ist auf die GEDA-Studie des Robert Koch-Instituts zu verweisen.

Danach nimmt problematischer Alkoholkonsum mit dem Sozialstatus zu (bei Männern und bei Frauen), gleichwohl haben statushohe Personen eine deutlich höhere Lebenserwartung. Neben unbestritten vorhandenen individuellen Verhaltensweisen spielen demnach andere Risikofaktoren eine bedeutende Rolle.

Es bleibt unklar, wie das Ziel, „das Wissen, die Befähigung und die Motivation der Bevölkerung zu gesundheitsbewusstem Verhalten in allen Lebensphasen zu stärken und damit gesundheitliche Risiken zu reduzieren“ erreicht werden soll. Die aufgeführten Rahmenbedingungen sind pauschal, so dass nicht klar wird, wie insbesondere vulnerable Bevölkerungsgruppen besser erreicht werden können. Die Verantwortung für die Umsetzung wird hier auf die Selbstverwaltung und die BZgA übertragen. Gesundheit wird offensichtlich einzig und allein als vom Gesundheitssystem abhängige Variable betrachtet. Das widerspricht allen (sozial-) epidemiologischen, gesundheitswissenschaftlichen Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte.

Die Benennung der Zielgruppen ist stereotyp und undifferenziert: Kinder/Jugendliche, ältere Menschen und Migrant/inn/en. Migrant/inn/en sind nicht per se eine vulnerable Bevölkerungsgruppe. Hier ist wohl in erster Linie auf schlecht integrierte Zuwanderer und Sans-Papiers abzuheben.

Die Erreichbarkeit vulnerabler Zielgruppen wird ebenfalls nicht konkretisiert. Das
bestehende Problem, dass die Präventionsangebote der GKV in der Vergangenheit weit überwiegend Frauen (75%) erreichten, wird nicht angesprochen. Im Sinne des Gender Mainstreaming besteht hier eindeutig Handlungsbedarf. Wenn ausgesagt wird, dass die Präventionskurse nicht immer die Menschen erreichen, die einen Bedarf für Leistungen zur Prävention haben, dann ist zu hinterfragen, warum diese Angebotsstruktur dennoch fortgeführt werden soll. Die jährlichen Präventionsberichte der GKV sollten zunächst hinsichtlich des Zielerreichungsgrades analysiert und problematisiert werden, bevor Schlüsse auf die Fortführung bestehender Angebote gezogen werden.

Es wird die Erwartung formuliert, dass „durch Bündelung der Mittel insbesondere die
mediale Durchschlagskraft deutlich erhöht wird“ (S.12), um die Voraussetzungen zur
Erreichbarkeit sozial benachteiligter Gruppen, wie Menschen mit Migrationshintergrund oder niedrigem Bildungsstand, zu verbessern. Damit ist impliziert, dass durch erhöhte mediale Präsenz sozial bedingte ungleiche Gesundheitschancen vermindert werden können. Hier sollte unter Bezugnahme auf die große AIDS-Kampagne der BZgA reflektiert werden, dass ganz offensichtlich junge schlecht integrierte Zuwanderer nicht oder nur schlecht erreicht worden sind.

Zu bedenken ist auch der hohe Anteil funktionaler Analphabet/inn/en in der Bevölkerung Deutschlands. Dieser Anteil beträgt mehr als 14% der erwerbsfähigen Bevölkerung, entsprechend 7,5 Mio. Menschen. Mittels ärztlicher Präventionsempfehlung sollen die Kursangebote der GKV gezielt diejenigen Menschen erreichen, die sie benötigen (S.12). Diese Annahme setzt voraus, dass die Inanspruchnahme der primärpräventiven Gesundheitsuntersuchung auch tatsächlich und insbesondere durch vulnerable Bevölkerungsgruppen erfolgt.

Ergebnisse der Versorgungsforschung belegen, dass dies heute nicht der Fall ist, sondern der Gesundheits-Check up eher von Personen in Anspruch genommen wird, die ohnehin motiviert sind, ihre Gesundheit aufrecht zu erhalten. Allerdings ist die Einführung eines Bonusprinzips (S.12) letztlich die Möglichkeit bei nicht gesundheitsförderlichem eigenverantwortlichem Verhalten zu sanktionieren, mit anderen Worten: Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, Sanktionen gegenüber bildungsfernen und sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen auszuüben. Hinzu kommt, dass die Boni vorrangig am Erfolg der Maßnahmen auszurichten sind. Wer definiert und evaluiert die Erfolgskriterien? Wer überprüft die Erfolgskriterien hinsichtlich ihrer Kompatibilität zur Maßnahme? Inwiefern wird die Nachhaltigkeit einer Maßnahme eine Rolle spielen?

Fazit:

Bereits vorhandene, funktionierende Strukturen vor Ort wie der Öffentliche Gesundheitsdienst, der jahrelange Erfahrung und den Zugang zu vulnerablen Bevölkerungsgruppen hat, sollten stärker gefördert und genutzt werden. Dafür müssen auch in den Gesundheitsämtern vor Ort finanzielle Mittel zur nalaufstockungvorgesehen werden.Hervorzuheben ist die Bedeutung von portvereinen, die ein überaus geeignetes Setting sind, um Kinder und Jugendliche zu erreichen. So sind über 80% der 7-bis 14-jährigen Jungen Mitglied in einem Sportverein. Neben Prävention (sportliche Aktivitäten) leisten die Vereine nicht zu unterschätzende Beiträge zur sozialen Integration.

Systeme zur Qualitätssicherung sind durchgängig zu etablieren und regelmäßig extern zu evaluieren.Bei der Aufgabenzuweisung an die Akteure ist darauf zu achten, dass hier nicht ausschließlich Zuständigkeiten auch in Form zusätzlicher Bürokratien auf Bundesebene geschaffen werden und den Zuständigkeiten in Ländern und Kommunen Rechnung getragen wird.

Bei dem vorliegenden Entwurf handelt es sich um einen klassischen Top-Down-Ansatz, der zentrale Prinzipien der Gesundheitsförderung, die schon in der Ottawa-Charta benannt wurden, wie Empowerment und Partizipation, außer Acht lässt.Hingegen besteht die Notwendigkeit, ein eigenständiges Gesetz zur medizinischen und nicht-medizinischen Prävention und Gesundheitsförderung unter Einbeziehung aller relevanten Akteure in die Finanzierung zu schaffen.



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