Interview des Ärzteblatt mit der Bundesvorsitzenden Ute Teichert
Das Gespräch mit Dr. med. Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes: „Wir sind mit unseren Themen wesentlich präsenter“
Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) arbeitet an einem neuen Leitbild. Ute Teichert über die vielfältigen Aufgaben der Ärzte im ÖGD, drohenden Nachwuchsmangel, viel zu niedrige Gehälter und verpasste Chancen im Präventionsgesetz.
Frei von kommerziellen Interessen, die Bevölkerung stärker im Blick als den Einzelnen, dennoch da für die Menschen, die durch das soziale Netz gefallen sind: Wenn man sie bittet, das Besondere an der Arbeit des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) herauszustellen, ist das Dr. med. Ute Teicherts Antwort. Sie vertritt seit sieben Jahren als Bundesvorsitzende die Interessen der 2 500 Ärztinnen und Ärzte des ÖGD. Deren Aufgaben sind vielfältig. Einige Beispiele: Die Amtsärzte überwachen die Infektionshygiene in Krankenhäusern und Arztpraxen. Sie führen Schuleingangsuntersuchungen und Impfberatungen durch. Sie übernehmen die Tauglichkeitsuntersuchungen für künftige Beamte, stellen Gutachten in Asylverfahren aus und beraten Prostituierte in Gesundheitsfragen. Dazu kommen aufsuchende Hilfen für Menschen, die keine Wohnung haben, oder schwer psychisch Kranke. Außerdem sorgen die Amtsärzte dafür, dass sich Infektionskrankheiten nicht unkontrolliert ausbreiten. Und als 2015 Tausende Flüchtlinge in Deutschland eintrafen, waren es meist die Gesundheitsämter, die die medizinischen Erstuntersuchungen vornahmen.
„Im Gesundheitsamt gibt es ständig neue Herausforderungen“, sagt Teichert. „Das macht die Arbeit interessant, und deshalb lohnt es sich, an dieser Stelle einmal einen Werbeblock für den ÖGD einzuschieben.“ Denn den plagen Nachwuchssorgen. So ist die Zahl der Ärzte in den Gesundheitsämtern in den letzten 20 Jahren Teichert zufolge um ein Drittel zurückgegangen. Viele ärztliche Stellen blieben unbesetzt. Manche Amtsärzte seien auf die Unterstützung der niedergelassenen Kollegen angewiesen, um ihre Aufgaben erfüllen zu können.
Teichert macht die viel zu niedrigen Gehälter im ÖGD mit dafür verantwortlich, dass der Nachwuchs ausbleibt und vermehrt Ärzte den Gesundheitsämtern den Rücken kehren. Weil die Amtsärzte dem Verwaltungspersonal zugerechnet würden, verdienten sie rund 1 000 Euro brutto monatlich weniger als Ärzte im Krankenhaus. Bei der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände stoße der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD) mit der Forderung nach einer Angleichung der Gehälter seit Jahren auf taube Ohren, kritisiert Teichert. Dabei habe die Flüchtlingskrise gezeigt, dass die Amtsärzte „draußen die Leute versorgen. Wir sitzen nicht in der Amtsstube und verwalten Akten.“ Für Teichert ist die Blockadehaltung der Arbeitgeber nicht nachvollziehbar. Viele Ärzte im ÖGD schätzten zwar ein familienfreundliches Arbeitsumfeld mehr als ein hohes Gehalt. „Aber wenn die Schere derart auseinanderklafft, werden wir niemanden mehr für den ÖGD gewinnen können“, warnt Teichert. Ihr Verband, der die Ärzte auch gewerkschaftlich vertritt, hat jetzt Konsequenzen gezogen und zum Ende des Jahres die Tarifgemeinschaft mit dem Deutschen Beamtenbund gekündigt. Der Tarifvertrag für die Ärzte im ÖGD laufe im Februar 2018 aus. „Dann wollen wir arztspezifische Tarifverträge verhandeln“, sagt Teichert.
Rückhalt in der Ärzteschaft
Zum Positiven gewendet hat sich ihrer Ansicht nach die öffentliche Wahrnehmung des ÖGD. „Wir sind mit unseren Themen wesentlich präsenter“, meint Teichert. Die Arbeit der Gesundheitsämter werde geschätzt. Dazu beigetragen habe sicherlich der Deutsche Ärztetag im Mai 2014, der dem ÖGD einen eigenen Tagesordnungspunkt widmete. Das Ärzteparlament hatte schon damals Bund, Länder und Kommunen als Träger des ÖGD aufgefordert, diesen finanziell und personell angemessen auszustatten. Dem ÖGD mit seinen Aufgaben in der Bevölkerungsmedizin, der Prävention sowie der Gesundheitsförderung und -beratung komme neben der ambulanten und stationären Versorgung als dritter Säule des Gesundheitswesens ein besonderer Stellenwert zu, hieß es in einem Beschluss. Die Delegierten hatten zudem die Bundesregierung aufgefordert, das Fach „Öffentliches Gesundheitswesen“ in der medizinischen Ausbildung aufzuwerten. Passiert ist seither nichts. „Dabei wäre es ein wichtiger Schritt, wenn in der Approbationsordnung wenigstens erwähnt würde, dass man auch im Gesundheitsamt Famulaturen und einen Teil des PJ ableisten kann“, meint Teichert. Viele Medizinstudierende kämen während des gesamten Studiums nicht mit dem ÖGD in Kontakt.
Eine Lanze „für einen starken Öffentlichen Gesundheitsdienst“ brach im Juni 2016 auch die Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK). Die Minister verabschiedeten einen Beschluss, den Teichert als „richtungsweisend“ bezeichnet. Angesichts drohender medizinischer Versorgungsengpässe in ländlichen Regionen und sozialen Brennpunkten regten sie an, die Gesundheitsämter stärker in die Planung und Gestaltung regionaler Versorgungskonzepte einzubinden. „Die GMK sieht im ÖGD ein professionelles Netzwerk, das mit und in allen Gesundheitsbereichen von der Prävention und Gesundheitsförderung, dem Gesundheitsschutz bis zur Versorgung kooperativ und koordinierend tätig ist“, heißt es in dem Beschluss. Um die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen, brauche der ÖGD aber ein modernes Leitbild.
Teichert kann dem nur zustimmen. Sie sieht die Gesundheitsämter als die Stelle, wo die Fäden zusammenlaufen, als Koordinatoren in der Mitte eines multiprofessionellen Netzwerks, und weniger als dritte Säule im Versorgungssystem. Aber man könne ein Leitbild nicht von oben nach unten verordnen. Ein erster Entwurf der Länder soll deshalb bei der Jahrestagung der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen, die Teichert leitet, am 26. September in Düsseldorf breit diskutiert und in Arbeitsgruppen weiterentwickelt werden. Das Ergebnis werde man an die Länder zurückspielen.
Jedenfalls stellt deren Leitbildentwurf fest, dass die multiprofessionellen Teams im ÖGD einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das Prinzip von „Gesundheit in allen Politikbereichen“ zu verankern. Damit der ÖGD auch in Zukunft seine Aufgaben erfüllen kann, sind nach Ansicht der Länder drei Punkte von entscheidender Bedeutung: politische Rückendeckung von Bund, Ländern und Kommunen, ein schärferes Profil in Abgrenzung zu den anderen Akteuren im Gesundheitswesen sowie eine angemessene Personalausstattung. Letztere müsse sich am Umfang der fachlichen Aufgaben ausrichten und nicht an finanzpolitischen Vorgaben. Mit solchen Forderungen rennt man bei Teichert offene Türen ein. Die Gesundheitsämter hätten in den letzten Jahren zwar durch erweiterte Kontroll- oder Beratungspflichten zusätzliche Aufgaben, aber nicht mehr Mittel erhalten. „Wenn die Finanzminister in den Ländern immer mehr zu sagen haben als die Gesundheitsminister, kommen wir im ÖGD nie auf einen grünen Zweig“, meint Teichert.
Ahrweiler ist nicht Berlin
Vor der Übernahme von mehr Verantwortung im Rahmen des Präventionsgesetzes hätte sich der ÖGD dagegen nicht gescheut. Prävention und Gesundheitsförderung seien ureigene Aufgaben der Gesundheitsämter, sagt Teichert: „Dass der ÖGD im Präventionsgesetz außen vor bleibt, ist ein echter Webfehler.“ Denn so blieben existierende Strukturen wie die kommunalen Gesundheitskonferenzen, die den Bedarf in ihren Städten und Gemeinden kennen, ungenutzt. Dasselbe gelte für die aufsuchenden Hilfen der Gesundheitsämter. Diese hätten Zugang zu Menschen, die man mit Präventionsangeboten ansonsten eher schwer erreiche. „Prävention kann man nicht verordnen oder über bundesweite Aufklärungskampagnen bewirken“, meint Teichert. „Man muss in den Stadtteilen und auf den Dörfern schauen, was gebraucht wird. Der Bedarf ist in Ahrweiler völlig anders als in Berlin.“
Quelle:
Dtsch Arztebl 2017; 114(38): A-1696 / B-1438 / C-1408
Korzilius, Heike